N. Hammerstein u.a. (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte

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Titel
Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. II, 18. Jahrhundert.


Herausgeber
Hammerstein, Notker; Herrmann Ulrich
Erschienen
München 2005: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
583 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Sebastian Brändli

Das auf sechs Bände angelegte Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte ist ein Jahrhundertwerk. Als letzter Band erschien über 20 Jahre nach dem Beginn des grossen Projekts der Band mit der Nummer 2 der chronologisch angelegten Reihe. Pikanterweise ist dieser im Jahre 2005 erschienene Band dem 18. Jahrhundert gewidmet, dem Jahrhundert, das Campe «das pädagogische» genannt hat, dem Jahrhundert, das in der Tat die Voraussetzungen für das – säkular betrachtet – erfolgreiche deutsche Bildungsmodell geschaffen hat.

Weil das Jahrhundert bildungsgeschichtlich so prominent ist, und weil das grosse Projekt selber in einem Umfeld entstand und entwickelt wurde, das Forschungsarbeiten zu einer weit verstandenen Bildungsgeschichte begünstigte, konnte zum Zeitpunkt der Redaktion des Bandes Nummer 2 auf einen bereits sehr fruchtbaren, ja fast «gesättigten» Forschungsstand zurückgegriffen werden. Als Autorinnen und Autoren standen einerseits noch Protagonisten der ersten Handbuchgeneration zur Verfügung, teils können aber auch namhafte Neuzugänge verzeichnet werden, die aber ihrerseits sich bereits durch monographische Vorarbeiten verdient gemacht haben. Nur schon die Einleitung mit dem Titel «Politische und soziale Physiognomie des aufgeklärten Zeitalters», die mit einer allgemeinen Annäherung an die Sozial- und Kulturgeschichte des Jahrhunderts die Klammerfunktion des Bandes erfüllt, zeigt diese Entwicklung deutlich: Der weit ausgreifende, enzyklopädisch angelegte und gleichzeitig essayistische Beitrag von Barbara Stollberg-Rilinger ist nicht nur blendend geschrieben, sondern umfasst programmatisch alles Historische, was als Rahmen für die nachfolgend ausgelegten bildungshistorischen Abhandlungen nötig erscheint. Schon allein die Lektüre dieses Beitrags lohnt den Kauf des nicht allzu billigen Bandes.

Dem ursprünglichen Konzept des auf sechs Bände angelegten Handbuchs ist der zuletzt aufgelegte Band treu geblieben. Und weil er der letzte der Reihe ist, halten die Herausgeber in ihrem Vorwort ausdrücklich an der ursprünglichen Programmatik fest, die Ulrich Herrmann bereits beim zuerst erschienenen 3. Band 1987 formulierte: Das urspünglich als Ergänzung der zweibändigen «Geschichte der Pädagogik» des Beck-Verlages vorgesehene (einbändige) Handbuch sollte «nicht nur auf Pädagogik- und Schulgeschichte begrenzt sein, sondern Erziehungs und Bildungsgeschichte in einem weiteren Sinne» leisten. Weiter wies Herrmann
auch schon darauf hin, dass das nunmehr mehrbändige Handbuch work in progress war, indem «sich parallel zur Planung des Handbuchs und der Konzeption seiner Teilbände und Beiträge die bildungshistorische Forschung auf vielen Gebieten der Bildungsgeschichte erst zu etablieren begann. Exemplarisch sei verwiesen auf die historische Erforschung des Familien-, Kinder- und Jugendlebens, der Kinder- und Jugendliteratur und der Lektüre, der Geselligkeit und der Bildungsvereine, des Armenwesens und der Systeme sozialer Sicherung; sozial- und mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen traten im Bereich der Erziehungs- und Bildungsgeschichte erst in den letzten zehn Jahren in den Vordergrund.»

Eben diese Entwicklung wurde seither vollzogen und hat im jüngsten Band seine Spuren hinterlassen. Den breiten mentalitätsgeschichtlichen Eingangskapiteln zu Alltagsleben, zu Familie, Kindheit und Jugend sowie zu Erziehung und Bildung folgen spezifischere Präliminarien zur deutsch-jüdischen Bildung und zur Erziehung und Schulbildung von Mädchen. Die einschlägigen, klassisch institutionenbezogenen Beiträge sind dann in der traditionellen Stufenfolge gegliedert: Niedere Schulen und Realschulen; Philanthropine; Protestantische Gelehrtenschulen; Katholische Gymnasien; Hohe Schulen; Universitäten. Anschliessend gelangen ergänzend dazu im Sinne des ursprünglichen Programms weitere mit Bildungsgeschichte verbundene Sektoren der gesellschaftlichen Entwicklung zur Darstellung: Berufsbildung; Fürsorge und Wohlfahrtswesen; Volksbildung; Kulturelles Leben und Medien mit den Unterkapiteln zu Kinder- und Jugendliteratur, zu bürgerlicher Literatur- und Mediengesellschaft, zum Theater und zum Museum. Alle diese Beiträge zusammen machen das Paradigma einer sozial- und kulturgeschichtlich erweiterten Bildungsgeschichte aus.

Spezielle Aufmerksamkeit im vorgelegten Band verdienen Beiträge, die bisherige Fehlurteile korrigieren oder mögliche Nachlässigkeiten kompensieren wollen. Dies gilt zum Beispiel für eine gewisse «Rehabilitierung» katholischer bzw. nicht-protestantischer Bildungsanstrengungen, und es gilt auch für die Berücksichtigung der eher marginalen Stellung der Berufsbildung (deren Zugehörigkeit zum deutschen Bildungswesen des 18. Jahrhunderts auch nach der Lektüre des Beitrages von Hanns-Peter Bruchhäuser uneindeutig bleibt). Eine wichtige Neueinschätzung gelingt Wolfgang Neugebauer in seinem Beitrag über die «Niederen Schulen»; hier wird die Vielfältigkeit von Reforminitiativen betont und damit die bisherige Sichtweise der Vorreiterfunktion protestantischer (preussischer) Modelle widerlegt. Besonders von Interesse ist auch die Behandlung des Universitätswesens, gilt das 18. Jahrhundert doch trotz der Bezeichnung «das Pädagogische » als Zeitalter der «Krise der Universitäten». Doch die Rehabilitation der Universitäten des 18. Jahrhunderts hat bekanntlich schon früher eingesetzt, etwa durch Roy Porters Beitrag in der grossen, von Walter Rüegg herausgegebenen Universitätsgeschichte in Europa (1996), der zwar mit «Auszug der Wissenschaft aus der Universität» betitelt ist, im Text aber der Vorstellung der Krise widerspricht und die Innovation bzw. den Wandel betont. Notker Hammerstein folgt diesem Paradigma und zeichnet in seinem detaillierten, enzyklopädischen Beitrag die Entwicklung der deutschen Universität nach, deren Beginn eben nicht an die Gründung der Humboldt’schen Berliner Institution 1810 zu binden ist, sondern – je nach Fragestellung – auch bereits am Statut der Universität Halle von 1694 oder auch an der Gründung der Universität Göttingen 1737 festgemacht werden könnte.

Der 2. Band des Handbuchs der deutschen Bildungsgeschichte schliesst das Werk ab, das Bildungsgeschichte im Sinne der Gesellschaftsgeschichte zu neuen Ufern führen wollte. Dies ist in vielen Aspekten gelungen. Die Schlussbetrachtungen des Herausgebers Ulrich Herrmann stehen dazu allerdings in einem irritierenden Kontrast, betont der Autor doch abschliessend wieder sehr die traditionellen Perspektiven von Bildungsgeschichte als Geistesgeschichte, als Geschichte pädagogischer Ideen.

Zitierweise:
Sebastian Brändli: Rezension zu: Notker Hammerstein, Herrmann Ulrich (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Band 2, 18. Jh. München, Beck-Verlag, 2005. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 57 Nr. 3, 2007, S. 375-377.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 57 Nr. 3, 2007, S. 375-377.

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